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Ein Neuer zieht ein – Pferde aneinander gewöhnen

Gerade wenn sich fremde Pferde zum ersten Mal begegnen können sich wirklich ernsthafte Kämpfe zutragen. Deshalb kann man nicht müde werden immer und immer wieder darauf hinzuweisen, dass man fremde Pferde NICHT einfach vergesellschaften kann. Ja, Pferde sind Herdentiere. Ja, Pferde sind friedlich. Aber NEIN, Pferde sind nicht wehrlos und auch keine Pazifisten. Wer nicht in die Herde gehört wird verjagt, notfalls auch mit Gewalt. Also bitte, bitte: egal in welchem Alter Pferde nicht einfach auf eine Koppel stellen und den Rest dem Schicksal überlassen! Das kann ganz böse ins Auge gehen und nicht wenige unterlegene Pferde haben das schon mit ernsthaften Verletzungen oder gar mit dem Leben bezahlt.

 

Vergesellschaften aber richtig

Alles schön und gut, aber wie vergesellschaftet man denn nun Pferde, die sich nicht kennen? Das Wichtigste: ohne Eile. Pferde brauchen Zeit, um sich aneinander zu gewöhnen. Also bitte keine Hauruck-Aktionen. Zunächst macht ein bisschen Vorarbeit Sinn. Beim eigenen Pferd ist das einfacher, bei einem neu gekauften redet man am besten mit dem Vorbesitzer, um herauszufinden, ob der Kandidat, der in eine vorhandene Herde integriert werden soll, eher dominant ist oder eher zu den unterwürfigen Herdenmitgliedern gehört. Bei der vorhandenen Herde ist diese Frage meist schnell geklärt, indem man die Gruppe einfach eine Weile beobachtet.

 

Und warum ist es wichtig, ob man dominante oder rangniedere Pferde vergesellschaften will?

Ganz einfach: kommen zwei Dominanzbolzen aufeinander, ohne dass man die Annäherung ausreichend vorbereitet, so sind Rangkämpfe praktisch vorprogrammiert. Rangniedere Pferde werden zwar von den ranghohen als solche erkannt, müssen jedoch mit den anderen rangniederen um ihre Position in der Herde rangeln. Vorbereitung ist also das A und O der Vergesellschaftung, egal welchen Rang das neue Pferd inne hat.

 

Ist ein rangniederes Pferd einfacher zu vergesellschaften?

Nicht unbedingt. Wie gesagt, auch rangniedere Pferde müssen ihren Platz in der Herde erstreiten, denn kampflos gibt keiner seine Position auf. Wie genau diese „Kämpfe“ ablaufen ist dabei nicht nur eine Rang- sondern auch eine Charakter- und Typfrage. Anfangs wird immer gedroht, reicht das nicht aus werden schwerere Geschütze aufgefahren. Welche, das kommt ganz aufs jeweilige Pferd an. Da gibt es die, die gerne auskeilen und sich prügeln, andere bevorzugen Beissen oder Schnappen, wieder anderen genügt die bloße Drohung und der Kontrahend ergibt sich und nimmt seinen Herdenplatz unterhalb ein. Einfluss hat man auf diese Abläufe keinen, man kann nur die Gefahr von Verletzungen mindern.

 

Und wie geht man am besten vor?

Niemals, gar nie nicht unter gar keinen Umständen stellt man fremde Pferde einfach zueinander sondern stellt sie erst mal längere Zeit in Sicht- und Riechweite, dass die Tiere sich sich mal sehen und riechen können, bevor man zum nächsten Schritt übergeht. Soll ein sehr dominantes Pferd in eine Herde eingeführt werden sollte man die anfängliche Distanz relativ groß wählen, denn schon er Geruch eines dominanten, fremden Pferdes kann die Herde ordentlich in Aufruhr versetzen.

Also anfangs weiter entfernte, getrennte Koppeln wählen und die Pferde nach und nach immer näher zusammen stellen, bis sie nur noch durch einen Zaun getrennt sind. Klappt das gut kann man den Zaun weg lassen. Bitte für die erste Vergesellschaftung eine große Koppel mit ausreichend Fluchtmöglichkeiten wählen!

WICHTIG:

Die tollste Vergesellschaftungs-Strategie bringt nichts, wenn man die Pferde zwar tagsüber auf weiter entfernte Koppeln stellt, sie aber nachts gezwungenermaßen in direkt benachbarten Boxen stehen. Am besten auch hier für die ersten Nächte eine etwas abgelegenere Box wählen, um den Geruch des Neulings im Stall einzuführen. Natürlich soll die Box nicht so weit weg sein, dass das Pferd separiert ist, sondern wirklich in Riechweite, um die Tiere einander „vorzustellen“.

Klappt das Stehen auf benachbarten Koppeln oder Paddocks gut und man hat sich auch schon mal über den Zaun hinweg beschnuppert kann man die Barriere versuchsweise weg lassen. Hierbei ist es wichtig, die Pferde im Auge zu behalten, um im Notfall einschreiten zu können.

WICHTIG:

Niemals sollte sich ein Mensch zwischen zwei kämpfende, schlagende oder beißende Pferde stellen. Wenn es mal so weit ist kann man nichts mehr machen außer abwarten oder mit einer Longierpeitsche (aus genügend (!) Abstand) rumfuchteln und Rufen in der Hoffnung, dass die aufgebrachten Kontrahenden die „Gefahr“ noch wahrnehmen und sich aus dem Staub machen. Die Pferde sollten dann wieder getrennt werden und die Sache mit der Annäherung auf der entfernten Koppel beginnt von vorne.

Extrem wichtig ist auch, dass man das Alter der Pferde berücksichtigt. Ein Jährling ist normalerweise recht problemlos in eine vorhandene Herde erwachsener Pferde integrierbar. Einen Jährling zu einem Trupp Zwei- oder Dreijähriger „Jugendlicher“ zu stellen sollte man sich jedoch tunlichst verkneifen, denn man liefert das „Kind“ den „Halbstarken“ praktisch schutzlos aus.

 

Problemfall: Stute mit Fohlen vergesellschaften

Extrem schwer zu vergesellschaften sind Stuten mit Fohlen bei Fuß. Natürlich will die Mutter ihr Kind schützen und das um jeden Preis. Auch bisher rangniedere Stuten werden, dem Instinkt ihren Nachwuchs zu schützen, zu rasenden Furien. Daher sollte man Stuten, wenn sie nicht schon vor der Geburt des Fohlens Mitglied in einer intakten und gut funktionierenden Herde waren besser nicht neu vergesellschaften. Bei den eventuell entstehenden Kämpfen um die richtige Position und das Wohl des Fohlens könnten sowohl die Stute als auch das Fohlen ernsthafte Verletzungen davon tragen.

Schwierig: Stute mit Fohlen in eine bestehende Herde integrieren
Schwierig: Stute mit Fohlen in eine bestehende Herde integrieren

Gerade beim Fohlen sind auch kleinere Tritte gefährlich, denn eine Fraktur oder auch nur ein Haar-Riss in der Epiphysenfuge (das sind die Wachstumsfugen der Knochen, an denen das Wachstum der Knochen stattfindet) können für Wachstumstörungen sorgen. Im Extremfall entwickelt sich die betroffene Extremität nicht richtig und das Pferd geht zeitlebens lahm, hat chronische Schmerzen oder muss euthanasiert werden. Ist das Saugfohlen schon etwas größer und der Schutzinstinkt der Mutter hat nachgelassen kann man bei Stuten mit Fohlen ebenso vorgehen wie bei dominanten „Singles“ – zunächst wahrt man ausreichend Abstand, dann stellt man die Pferde immer näher zusammen, bis sie in freundlicher Nachbarschaft leben. So können sich die Parteien wunderbar kennenlernen und es gibt höchstwahrscheinlich nicht einmal einen Seitenblick, wenn der oder die Neue dann schließlich ohne trennenden Zaun in der Herde steht

 

Die Rassen-Frage

Immer wieder kommt die Frage auf, ob sich manche Rassen besser vergesellschaften lassen als andere. Das ist mit einem klaren „vielleicht“ zu beantworten 😉 Bei jeder Pferderasse gibt es gewisse Eigenschaften, die mehr oder weniger ausgeprägt sind. Manche sind eher „blütig“ und verfügen über ein munteres Temperament, andere sind cool und gelassen. Nur gibt es eben auch kampflustige Kaltblüter und gelassene Vollblutaraber. Insofern sollte man sich eher auf seinen gesunden Menschenverstand und auf seine Beobachtungen verlassen als auf die Rasse der zu vergesellschaftenden Pferde. Die Annahme „das ist doch ein friedlicher Haflinger, den kann man einfach dazu stellen, da wird schon nichts passieren“ hat schon manchem Tierarzt den Pool finanziert 😉

Auch die Vermutung, dass ein kleines Pferd wie beispielsweise ein Shettie sich leichter vergesellschaften lässt als ein Warmblut ist schlicht falsch. Egal wie klein oder wie groß – Pferd ist Pferd und jedes will seinen Platz in der Herde haben. Nein, Pferde sind keine rasenden Irren, die blutige Kämpfe austragen, bis einer von ihnen die Donnerkuppel waagerecht verlässt (ok, DER Witz funktioniert wahrscheinlich nur bei den Lesern über 35, aber die, die ihn verstehen werden sich umso mehr freuen ;-)) aber ein Tritt an der falschen Stelle kann der Letzte gewesen sein. Ich sage nur Griffelbeinbruch. Es muss ja nicht gleich das Ende bedeuten, aber teuer und vermeidbar, Ihr versteht?

 

Geschlechterkampf

Last but noch least die Frage: lassen sich Stuten oder Wallache besser vergesellschaften? Dass man sich als normaler Reiter nicht mit der Idee anfreunden sollte, mehrere potente Hengste vergesellschaften zu wollen versteht sich wohl von selbst. Das ist die Sache von Profies und soll hier nicht das Thema sein. (Für alle, die jetzt gleich ihr eMailprogramm auf machen: ja, es gibt Rassen wie z.B. Friesen, bei denen auch Hengste problemlos nebeneinander auf der Koppel stehen. Nur sind die a) meistens schon seit Fohlenzeit zusammen und b) die Ausnahme.)

Stuten sind, so leid es mir tut, einfach in den meisten Fällen zickiger und schwieriger im Umgang, sowohl mit Zweibeinern als auch untereinander als Wallache. Wer von Euch schon mal mit einer Frau mit PMS zu tun hatte oder selbst eine ist weiß, wie das läuft ;-)) Deshalb der Rat: Stuten immer langsamer vergesellschaften als Wallache. Ein Wallach lässt sich meistens binnen weniger Tage in ein Herde integrieren. Auch ist eine Stute in eine Wallach-Herde leichter integrierbar als wenn sich in der Herde bereits eine Stute befindet. Auch hier gilt die Devise: langsam annähern, beobachten, Zeit geben.

 

Der Weg übers Futter

Was zunächst nach einem wirklich guten Einfall aussieht, nämlich die Pferde zur Fütterung zusammen zu lassen, ist genauer betrachtet eine blöde Idee. Stichwort „Futterneid“ ist hier Trumpf, denn Pferde lassen sich nur äußerst ungern ihre Mahlzeit streitig machen und schon gar nicht von irgend einem dahergelaufenen Neuankömmling. Soll heißen: fremde Pferde bitte lieber getrennt füttern. Immerhin wollen wir Ruhe vermitteln, sowohl dem Neuling als auch der Herde. Aufregung mit Futterneid und Futterkampf sollte hier gar nicht erst entstehen können. Besser füttert man getrennt. Hiermit ist natürlich die Gabe von Leckerchen und Kraftfutter gemeint, nicht das tägliche Grasen und Heu fressen, mit dem Pferde ja praktisch den ganzen Tag verbringen. Eifersucht, Neid und sonstige negativen Einflüsse haben beim Vergesellschaften von Pferden genauso wenig zu suchen wie Gewalt.

 

Versteht sich zwar von selbst, aber…

…sicherheitshalber sei noch dazu erwähnt: Pferde lassen sich nicht zwingen. Schläge, Tritte oder sonstige „Maßnahmen“ seitens der Zweibeiner sind absolut obsolet und nicht tragbar! Also Hände weg von Ideen wie Fesseln, Zusammentreiben, Gertenhieben, Stromschlägen oder was sonst noch so „Praxis“ bei keine-Ahnung-was-für-Leute-sowas-machen ist. *pfui*

Zu guter Letzt sei noch etwas beruhigt: so schwierig ist das Vergesellschaften von Pferden nicht, wenn man sich die drei goldenen Regeln der Vergesellschaftung zu Herzen nimmt:

  1. Geduld
  2. Geduld
  3. Geduld 😉

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