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„Sehnenschaden“ – der Schrecken der Pferdewelt

Pferdebeine - oft sehr belastet

„Ihr Pferd hat einen Sehnenschaden“ – alleine der Gedanke an diesen Satz lässt einem Pferdemenschen das Blut in den Adern gefrieren. Das Schreckgespenst Sehnenschaden hat viele Gesichter, von „Kühlen, ein paar Tage Schritt und gut ist es“ bis zur kompletten und dauerhaften Unreitbarkeit.

Doch was ist das überhaupt, so ein „Sehnenschaden“, was passiert dabei im Pferdebein und wie kann er therapiert werden? Damit wollen wir uns heute näher befassen.

Zunächst ein bisschen Anatomie

Pferde sind hochspezialisierte Läufer, sowohl stundenlanges Schritt-Gehen als auch rasend schnelle Galoppstrecken machen ihren Beinen nichts aus und sie kommen selbst mit unebenem Gelände gut zurecht.

Dafür sorgt ihre perfekt an das Leben als Lauf- und Fluchttier angepasste Anatomie. Pferde sind sogenannte Zehenspitzengänger, das heißt, sie laufen auf der Spitze ihrer Zehen. Genauer gesagt je Bein nur auf der Spitze einer Zehe, nämlich der Mittleren. Auf den Menschen bezogen würde das Pferd also auf dem Mittelfinger (bzw. der mittleren Zehe) laufen. Alle anderen Finger / Zehen haben sich im Laufe der Jahrmillionen (die ersten Pferdeartigen bevölkerten immerhin schon vor 55 bis 48 millionen Jahren die Erde) zurückgebildet.

Wie jeder sofort sehen kann haben Pferde lange Beine. Die Länge der Beine resultiert aus den langen, den sogenannten Röhrenknochen der Gliedmaßen. Schauen wir uns nun der Einfachheit halber von unten nach oben die Gelenke der Vordergliedmaße an. Die Gelenke der Hintergliedmaße (im Folgenden mit HGM abgekürzt) verlaufen entsprechend, nur die Bezeichnungen sind etwas anders. Ich schreibe diese mal jeweils in eckigen Klammern dazu).

Wir haben also nach dem Huf als erstes das Fesselgelenk [HGM: auch Fesselgelenk], danach folgt das Vorderfußwurzelgelenk [Sprunggelenk] (entspricht unserem Handgelenk bzw. dem Knöchel) und ganz weit oben am Rumpf kommt der Ellbogen [Knie]. Das Vorderfußwurzelgelenk ist das Gelenk, das von Laien oft als „Knie“ bezeichnet wird und wo sich jeder Reitanfänger freut, mit seinem Wissen ein wenig angeben zu können, denn nicht nur ist das Knie natürlich hinten am Pferd, nein, es ist ja auch eine ganze „Etage“ weiter oben. 😉

Unterhalb des Vorderfußwurzelgelenks gibt es am Pferdebein, anders als an den Beinen anderer Tiere und auch anders als am Arm des Menschen, keine Muskeln mehr. Hier sind nur noch sehr starke, lange Sehnen am Werk, die die Kraft der oberhalb des Vorderfußwurzelgelenk liegenden Muskulatur auf den unteren Teil der Gliedmaße übertragen. Diese Sehnen laufen in speziellen Gleitlagern, den Sehnenscheiden. Diese sind innen feucht und sorgen für „guten Rutsch“. Außerdem gibt es am Pferdebein eine Vielzahl sogenannter Sesambeine. Wir Menschen kennen als Sesambein vor allem unsere Kniescheibe (und ja, Pferde haben auch eine), Pferde haben davon eine ganze Menge. Diese Sesambeine sind abgerundete Knochenstücke, die entweder in die Sehnen integriert sind oder an Stellen für Stabilität und Haltbarkeit sorgen, wo die Sehne sonst über eine knöcherne Kante laufen müsste. Das Sesambein rundet die Kante quasi ab (ist etwas laienhaft ausgedrückt, aber wir sind hier ja auch nicht im Anatomie-Kurs).

Pferdebeine sind extremen Belastungen ausgesetzt

So weit, so gut. Nun haben wir also einen dicken, sehr tragfähigen Knochen, umgeben von einer Menge extrem reißfester Sehnen. Brauchen wir auch, denn immerhin sind oberhalb bei einem normalen Warmblut (mal als Beispiel) 600 Kilo Masse, die in Bewegung und mit Impulsen auf den Knochen- und Sehnenapparat einwirken. Und hier liegt auch schon das Problem. So viel Gewicht plus Geschwindigkeit, da kommen riesige Kräfte auf, die den sogenannten passiven Bewegungsapparat (darunter versteht man alles, was nicht Muskulatur, Blutgefäß oder Nerv ist und für Bewegung sorgt, sprich Knochen, Sehnen, Bänder und Gelenke) einwirken.

Nun könnt Ihr Euch in etwa vorstellen, warum

  1. Sehnenschäden bei Pferden relativ häufig sind und
  2.  Sie unter Umständen eine sehr lange und aufwändige Heilungsphase mit sich bringen.

Wie kommt es nun zu so einem Sehnenschaden?

Um diese Frage zu beantworten müssen wir zwischen akutem und chronischem Sehnenschaden unterscheiden.

Unter einem akuten Sehnenschaden versteht man einen Defekt, der vor Kurzem erst entstanden ist und dessen erste Heilphase noch nicht abgeschlossen ist. Wie es zum Schaden kam, ob durch eine Verletzung, Überlastung oder aus sonstigen Gründen, ist dabei unerheblich.

Die erste Reaktion des Körpers auf ein Problem an den Sehnen ist immer eine Entzündung. Das heißt, die Durchblutung an der betroffenen Stelle wird gefördert, es gibt unter Umständen eine Schwellung, das Gebiet wird warm und kann schmerzen. Unter Tiermedizinern gibt es die sogenannten 5 Zeichen der Entzündung, natürlich schick auf Latein 😉

  1. Dolor – der Schmerz
  2. Calor – die Wärme
  3. Rubor – die Rötung
  4. Tumor – die Schwellung
  5. Functio laesa – die eingeschränkte Funktion

Dabei müssen nicht, können aber alle Anzeichen der Entzündung auftreten. In fast allen Fällen sind mehrere vorhanden.

Dolor – der Schmerz

Dass eine Entzündung meistens weh tut kennt jeder, der sich mal den Fuß verstaucht hat, denn der Ablauf einer Entzündung ist beim Menschen genauso wie beim Pferd. Wie stark ein Schaden an einer Sehne, auf der so viel Gewicht liegt und die beispielsweise beim Springreiten in der Landephase das gesamte Gewicht des Pferdes alleine (die Landung wird ja zu Beginn von einem einzelnen Bein aufgefangen) auszuhalten hat, kann man nur ahnen.

Calor – die Wärme

Entzündungen werden warm. Bedingt ist diese Tatsache durch die vermehrte Durchblutung, die im verletzten Bereich stattfindet. Ein verletztes Gebiet besser zu durchbluten macht natürlich Sinn, denn hier beginnen im Moment der Verletzung erste Maßnahmen des Körpers, beispielsweise bei offenen Wunden zum Schutz vor Eindringlingen (Bakterien, Viren, Pilze). Das Blut bringt also dringend benötigte Immunzellen an die Stelle des Geschehens, die sich sogleich daran machen, ungebetenen Gäste den Gar aus zu machen. Die erste Bastion der Verteidigung sind weiße Blutzellen, die eingedrungene Erreger schlichtweg auffressen. Die genaue Immunreaktion zu erklären würde den Rahmen des Artikels bei Weitem sprengen. Halten wir einfach fest, es macht Sinn, dass bei Verletzungen die Durchblutung an der Stelle erhöht wird. (Nicht nur für die Immunreaktion, auch die Blutgerinnung ist ein wichtiger Teil, um den Blutverlust zu minimieren).

Handelt es sich um eine sogenannte „stumpfe Verletzung“, also eine Verletzung ohne dass die Haut durchstoßen wurde, so wird die Stelle dennoch besser durchblutet und warm. Warum? Weil an der verletzten Stelle ja ein Heilungsprozess ablaufen soll, der das Problem wieder repariert. Und dazu brauchen die Zellen, sowohl die verletzten als auch die verbliebenen gesunden, Nährstoffe und Sauerstoff. Und natürlich müssen auch Abfallstoffe, die beim Abbau der verletzten oder zu Grunde gegangenen Strukturen übrig sind, abtransportiert werden. Das alles erledigt das Blut und deshalb wird verletztes oder erkranktes Gewebe vermehrt durchblutet. Blut ist warm und schon haben wir den Grund für die Erwärmung gefunden.

Wenn Dein Pferd also lahmt wird die Tierärztin bzw. der Tierarzt die Stelle eingehend betasten, meist lässt sie/er die Hand länger auf der Stelle liegen und vergleicht mit der gesunden Seite. Das hat zwei Gründe. Zum Einen kann man so den eventuell vorhandenen Wärmeunterschied zwischen gesunder und verletzter Gliedmaße erkennen und zum Anderen wird auch auf eventuelles Pulsen, Schwirren oder Klopfen in den Arterien geachtet, denn auch das sind Anzeichen für eine aktive Entzündung.

Greift die Tierärztin bzw. der Tierarzt von hinten an die Fessel des Pferdes, so fühlt sie/er den Puls.

Rubor – die Rötung

Die Rötung kommt aus den gleichen Gründen zu Stande wie die Wärme, sie liegt an der vermehrten Durchblutung. Blut ist rot und schimmert dann natürlich auch rot durch die Haut. Bei vielen Tieren kann man das aufgrund des Fells nicht sehen, deshalb spielt beim Tier und eben auch beim Pferd die Rötung in der Diagnostik eine untergeordnete Rolle.

Tumor – die Schwellung

Nicht erschrecken, das lateinische Wort „Tumor“ bedeutet nichts anderes als „Schwellung“ und hat erst mal rein gar nichts mit Krebserkrankungen zu tun. Also immer ruhig bleiben. Wir reden hier über eine ganz normale Schwellung im Bereich einer Verletzung. Ich erinnere an dieser Stelle nochmal an den verstauchten Fuß. Die Schwellung braucht meistens ein bisschen, bis sie auftritt. Es macht Sinn, eine Verletzung, die akut auftritt, sofort zu kühlen. Also stell Dein Pferd in einen Eimer mit kaltem Wasser oder mach kalte Umschläge. Damit kannst Du die Schwellung – und glaube mir, sie wird kommen – etwas eindämmen. Schwellungen machen die Diagnosestellung unnötig schwer, denn man kann bei einem akut geschwollenen Bein nur schwer oder gar nichts auf dem Ultraschallbild erkennen und auch Röntgenbilder werden schwammig und schwer zu beurteilen. Deshalb bei Verletzungen ohne Beteiligung der Haut: Kühlen, kühlen, kühlen.

Anders sieht es aus, wenn Blut fließt: Hier sollte man das Pferd natürlich nicht in einen Eimer Wasser stellen sondern zunächst die Wunde mit einer sauberen Abdeckung versorgen. Danach kann und sollte man auch kühlen allerdings nicht feucht, sondern eher mit etwas wie einem Kühlpack (diese Gelpacks, die auch beim Menschen verwendet werden, gibt es auch in groß und die sind wirklich toll bei sowas). Die Kühlung legt man dann AUF den Verband.

Functio Laesa – die eingeschränkte Funktion

Das ist eigentlich das, was bei geschlossenen Verletzungen als erstes auffällt: das Pferd lahmt. Warum lahmt es? Zum Einen, um dem Schmerz aus dem Weg zu gehen, zum Anderen handelt es sich beim Lahmen aber um weit mehr als um pure Schmerzvermeidung. Die Muskeln und Sehnen sind über feine Rezeptoren, die Lage, Spannung, Zustand und einiges Mehr ans Rückenmark und ans Gehirn melden, miteinander verbunden. Wird nun ein Teil verletzt, so versucht der Rest des Bewegungsapparats an der Stelle, diesen Teil zu schonen. Es kommt zu sogenannten „Schutzspannungen“ oder zu sonstigen Tonusveränderungen, also Veränderungen in der Spannung von Muskeln und Sehnen. Das alles sorgt dafür, dass kein normaler Bewegungsablauf mehr möglich ist, das Pferd lahmt.

Bei Chronischen Entzündungen liegt der Grund der Problematik entweder schon weiter zurück und ist nie richtig ausgeheilt (Chronifizierung einer akuten Entzündung) oder die Ursache liegt in einem chronischen Vorgang, der das Gewebe, in unserem Beispiel die Sehnen, über längere Zeit nach und nach geschädigt hat. Ein schönes Beispiel ist hier ein extrem übergewichtiges Pferd, das irgendwann Probleme an Hufen und / oder Sehnen entwickelt, weil der passive Bewegungsapparat zwar sehr stabil ist, aber nicht auf Dauer mit massiver Überbeanspruchung klarkommt. Oder denkt an die Ermüdungsbrüche von Rennpferden. Dabei wirkt immer und immer wieder so viel Kraft auf den Knochen, bis er einfach so aufgibt und bricht.

Warum kommt es nun überhaupt zu einem Sehnenschaden?

Gründe für Sehnenschäden – egal ob akut oder chronisch, wir fassen das an dieser Stelle der Einfachheit halber mal zusammen – gibt es viele. Hier einige Beispiele:

  • Überlastung durch zu viel oder ungeeignete Bewegung
  • Zu harter Boden (Trab oder Galopp auf Asphalt sind beispielsweise tabu)
  • Trittverletzungen
  • Verletzungen durch Anschlagen z.b. beim Springen
  • Zerrungen, z.b. durch Tritt in ein Loch auf unebenem Boden
  • Starkes Übergewicht
  • Stark übergewichtiger Reiter
  • Zu lange andauernde Belastung (vor allem bei untrainierten Pferden, denn auch Sehnen und Knochen passen sich, wie Muskeln, mit Training der Belastung an)
  • …. und und und…

Und was kann man gegen einen Sehnenschaden tun?

Zunächst einmal sollte ordentlich diagnostiziert werden und das möglichst früh. Beim Auftreten von Schwellungen oder Lahmheit ist immer dein Tierarzt / eine Tierärztin zu rufen. Und ja, Tierärzt:innen kosten Geld, allerdings wird es noch viel teurer, wenn man erst bei „kompetenten“ Fremden auf Facebook nachfragt und eine Verletzung zu spät behandelt wird.

Generell gilt immer, je früher eine Behandlung beginnt, desto größer die Heilungschancen und desto billiger auch die Rechnung.

Was bei Sehnenschäden in jüngerer Zeit oft und mit großem Erfolg eingesetzt wird ist die sogenannte Lasertherapie. Dabei wird ein roter Lichtpunkt auf bestimmte Stellen des erkrankten Gewebes gerichtet und unterstützt körpereigene Heilvorgänge. Der Vorteil der Laserakupunktur beim Pferd ist, dass der Besitzer diese selbst durchführen kann, im Idealfall angeleitet vom Tierarzt, der die perfekten Anwendungsstellen zeigt und die Pulsintensität, Frequenz und sonstige Einstellungen erklären kann.

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